In Zusammenarbeit mit dem WDR ist im Rahmen des Projektes das Feature „Der neue Ton – Reeducation für Nazideutschland“ entstanden. Ausstrahlung ist am Samstag, 5. Oktober 2019, von 12-13 Uhr auf WDR 3. Nähere Informationen finden Sie auch unter https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-kulturfeature/nazis-werden-demokraten-100.html 

 

Der neue Ton – Reeducation für Nazideutschland
Von Cornelia Epping-Jäger und Jean-Claude Kuner

Wenn ein politisches System wie der Nationalsozialismus seine Macht verliert und aus Diktatur Demokratie wird, was geschieht dann mit Medien und Kommunikationsformen? Wie verändern sich Institutionen und Menschen?

Schon vor 1945 überlegten die Westalliierten wie man den autoritätshörigen Deutschen Demokratie nahebringen könnte. In Reeducations-Trainings schulten sie ein neues Diskussions-, Debatten- und Streitverhalten, das nach Kriegsende die Anfänge von Politik und Kultur bestimmen sollte.

Der Wandel nach Kriegsende war tiefgreifend. Natürlich durften Rundfunksprecher, wie etwa die bei Radio Hamburg, dem englischen Besatzungssender, nicht mehr klingen wie zuvor bei den Nazis. Die ‚Stimme der Demokratie‘ musste sich anders anhören als die der Diktatur. Der Slogan der Westalliierten „You can be like us“ veränderte die Denkweise der jungen Deutschen – in der Politik, in den Medien und auch in der Literatur. Aus der neuen Gesprächs- und Diskussionskultur entwickelte sich ein neuer gesellschaftlicher Ton, ein ‚Sound der Demokratie‘‚ der auch die Neuanfänge der Literatur bestimmte. Schreiben und diskutieren rückten zusammen. Auch in der Literatur etablierte sich ein neuer Ton – ein neuer literarischer Stil.

Das Feature steht nach der Ausstrahlung hier befristet zum Download bereit.
Das Interview mit Cornelia Epping-Jäger zu diesem Thema im Rahmen der WDR-Sendung ‚Mosaik‘ finden Sie hier.

 

— English Version below —


Hör/Säle der Literatur. Die sonore Inszenierung des Literarischen in der deutschen Literatur der Nachkriegszeit zwischen 1947 und 1967

Das Projekt fokussiert die deutsche Literatur der Nachkriegszeit in den beiden Jahrzehnten zwischen 1947 und 1967 im Hinblick auf die für diese Phase grundlegende vokal-akustische Konzeptualisierung und Inszenierung des literarischen Prozesses. Es widmet sich damit dem bislang wenig reflektierten Umstand, dass sich der Literaturbetrieb nach 1945 zunächst als eine „sonore Szene“ (Barthes) entfaltete, wobei die sich wieder herausbildenden literarischen Netzwerke von ‚einfachen Systemen direkter Kommunikation unter Anwesenden‘ (Luhmann) dominiert wurden. Literatur operierte, so die Forschungsannahme, in den beiden Nachkriegsdekaden vor allem als stimmliche Verlautbarung von Texten verschiedener Gattungen in Hör/Sälen unterschiedlicher Provenienz, wobei die Vor/Lesung jeweils auf die direkte (kritische) Resonanz von anwesenden Auditorien ausgerichtet war.
Die zentrale Hypothese des Forschungsvorhabens besteht also in der Annahme, dass für den sich nach dem Kriegsende neu herausbildenden Literaturbetrieb ein stimmlich-akroamatischer Horizont prägend war, in dem sich eine Poetologie des Zu-Gehör-Bringens ausbildete, die die Verfahren der Textproduktion an die kritische Resonanz von Auditorien band. Sonorität war als regulative Idee bestimmend für die sich etablierenden Institutionen und Orte, an denen literarische Diskurse prozessiert wurden, ebenso wie für die Verfahren und Medien dieser Prozessierung sowie schließlich für die Genese der literarischen Texte selbst. Das Vorhaben wendet sich diesem Problemfeld in Literaturstudien und in quellengestützten Fallstudien zu, die zu einem historisch-systematischen Tableau zusammengeführt werden sollen. Die Fallstudien stützen sich auf umfangreiches Archivmaterial, das auch bislang in der Forschung noch nicht ausgewertete akustische Quellen umfasst.


Auditory spaces of literature. The sonorous performance of literary work in postwar Germany 1947 – 1967

The project is focused on German literature of the post-war period and concentrates on how during the decades between 1947 to 1967 the creative literary process was to a decisive degree based on the development of a live performance attended by an audience. After 1945 the literary public developed a “sonorous scene” (Barthes), and the emerging literary networks were dominated by ‘elementary social systems’ characterized by ‘direct communication between participants’ (Luhmann), a fact, which is largely disregarded in contemporary research. Literature operated in the post-war decades mainly as a public performance of texts in halls and auditoriums and the performance was organized around the idea of direct and immediate response of a live audience. The central thesis of the project is therefore the assumption, that a ‘vocal-acroamatic horizon’ was a decisive influence and thereby supported a Peotology of ‘making oneself heard’, thus intricately connecting text production and live response of an audience. Sonority became a ‘regulating idea’ in the establishment of institutions and locations, where literary discourse was happening. It also shaped the methods and media in which such literary productions developed. The project will analyse theses aspects on the basis of literature studies and source-based case studies and thus construct a historic and systematic tableau. The case studies are to be based on material from the archives, including particular acoustical sources, hitherto not made use of.